Lilli Koisser

Warum die 40-Stunden-Woche Schwachsinn ist

Wenn sich jemand erkundigt, wie es mir in meinem Job als Freelance-Texterin geht, kommt im Gespräch immer zwangsläufig bzw. gleich als Erstes die Frage: „Und, bist du ausgebucht?“ Ja, ich bin gut gebucht. Ich möchte aber eigentlich gar nicht „ausgebucht“ sein. Wenn jemand fragt, ob ich ausgebucht bin, will er damit ja eigentlich Folgendes wissen:

„Arbeitest du eh 40 Stunden die Woche?“ Und nein, das tue ich nicht und das will ich auch nicht. Ich finde, dass die 40-Stunden-Woche ein Übel ist, das sich in unser Leben und unseren Alltag eingeschlichen hat.

Abgesessene Stunden ≠ geleistete Arbeit

Ich verstehe nicht, warum die bloße Anwesenheit im Büro oder die Anzahl der geleisteten Stunden noch immer mit Fleiß und Produktivität gleichgesetzt werden. Wenn ich etwas in 20 Stunden schaffe, wofür Andere eine 40-Stunden-Woche brauchen, bin ich dann faul und arbeitsscheu? Oder effizienter und produktiver? Nach welchen skurrilen Maßstäben messen wir Arbeit eigentlich – immer noch?

Arbeiten, um zu leben, und nicht umgekehrt.

Wenn jemand prahlt, dass er schon wieder bis 10 Uhr abends oder am Wochenende im Büro war, oder dass er rund um die Uhr für die Arbeit erreichbar ist, oder dass er im Büro unentbehrlich und für alles verantwortlich ist, empfinde ich nicht die erwartete Bewunderung, sondern Unbehagen und Mitleid. Jeder definiert sich über seinen Job, aber wenn er zum Lebensinhalt wird, finde ich das einfach traurig. Schließlich sind die 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen,

  • zu wenig ihr eigenes Leben gelebt zu haben,
  • zu viel gearbeitet zu haben,
  • sich zu wenig Zeit für Familie und Freunde genommen zu haben,
  • zu wenig Gefühle gezeigt zu haben und
  • sich nicht erlaubt zu haben, glücklich zu sein.

Nicht länger, sondern besser arbeiten.

In seinem Bestseller The 4-Hour Workweek schrieb schon der Anti-Konformist Tim Ferriss über das Unverständnis, mit dem dieser Arbeits- und Lebenseinstellung oft begegnet wird. In einem seiner ersten Jobs fand er einen schnelleren und effizienteren Weg, eine Aufgabe zu erledigen, und nutzte die verbleibende Zeit, um Capoeira zu trainieren. Als sein Chef davon Wind bekam, hielt er ihn dazu an, die Aufgabe doch bitte in der bewährten (komplizierten, langwierigen) Art und Weise zu erledigen. Auch in einer Folge von Malcolm Mittendrin gibt es eine ähnliche Szene. Ist das nicht verrückt? Für viele ist das Ziel noch immer, möglichst lange zu arbeiten, anstatt möglichst effizient.

Die Rebellion gegen das Hamsterrad

„Whenever you find yourself on the side of the majority, it is time to pause and reflect“, sagte schon Mark Twain. Wer sagt, dass wir 40 Stunden pro Woche an einem Schreibtisch sitzen müssen? Unsere Körper sind nicht mal dazu gemacht, so lange zu sitzen. Das Sitzen macht uns sogar krank und ist die Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts. Also: Nein, ich bin nicht ausgebucht. Ich sitze nicht 40 Stunden am Schreibtisch. Dafür habe ich Zeit für Familie, Freunde, Sport, Hobbies und Reisen, und das ist mir lieber als ein dickes Auto oder ein Batzen Geld am Konto.

(Nebenbei gesagt glaube ich nicht, dass ein Texter 8 Stunden am Tag konzentriert und kreativ schreiben kann – ich kann es zumindest nicht.)

Bild: Andrea Damm  / pixelio.de 

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21 Antworten

  1. Lieber Groschenreiter, vielen Dank für deine Worte! Ja, das kenne ich auch noch. Besonders schlimm war es für mich, wenn es draußen 30 Grad hatte und ich locker den ganzen Tag am See hätte verbringen können, ohne in der Arbeit irgendetwas zu verpassen! Die reinste Qual! Nie wieder 😉

  2. Hallo Lilli,

    Als ich Deinen Text las, fühlte ich mich an den Beginn meiner Berufslaufbahn zurück versetzt. Ich arbeitete damals einige Jahre im Einzelhandel und da gab es täglich die berüchtigten „Stehzeiten“. Also jene Stunden am frühen Nachmittag, in denen sich kein einziger Kunde in das Geschäft verirrte und man völlig sinnlos und apathisch in die Luft starrend herumstand.

    Ich war damals noch recht jung, voller Energie und Ehrgeiz und empfand diese Stunden als eine unerträgliche Zumutung, weil ich ständig an die wesentlich sinnvolleren und interessanteren Dinge dachte, die ich in dieser Zeit hätte machen können.

    Später wechselte ich die Branche und in einen Beruf, in dem ich mir meine Arbeitszeit selbst einteilen konnte.

    Es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass Menschen noch immer dazu verpflichtet werden, 40 Stunden pro Woche an ihrem Arbeitsplatz zu verbringen, vollkommen egal ob es Arbeit gibt oder nicht.

    Gratuliere zu Deinem tollen Artikel – Liebe Grüße Groschenreiter

  3. aber klar doch! ich habe ihm zugehört und habe die wahrheit erkannt 😀 und nun kann ich meiner arbeit, die dem 40-std-rhythmus nicht entspricht, mit ruhigerem gewissen nachgehen – und im sommer mal beim urban gardening mitmachen 😉

  4. wie wunderbar! über unser nicht vorhandenes work-life-balance habe ich mich kürzlich ebenfalls aufgeregt (http://wortexot.de/sagt-mir-nicht-dass-ihr-so-ein-leben-geil-findet/)
    offensichtlich bekommen die menschen immer mehr die folgen dieses 40-std-wochen-wahnsinns und fangen an, sich zu fragen, „wer hat das erfunden?“ ich finde es auch ein unding, dass es „normal“ zu sein scheint, zu leben, um zu arbeiten, anstatt umgekehrt. finde ich sehr schön, zu lesen, dass es anderen genauso geht 🙂 vielen dank, lili !

  5. Ich bin da absolut deiner Meinung Lilli! Ich finde sobald man „Arbeits“-Zeit gegen Geld tauscht, verfängt man sich schnell in diesem 40h Hamsterrad und verliert den Blick für die Qualität der eigenen Arbeit. Expertise gegen Geld ist dann auch eher mein angestrebtes Modell, falls ich als Blogger wirklich von meiner Tätigkeit leben möchte. Danke für den Denkanstoß und „The 4 Hour Workweek“ kann ich wirklich jedem empfehlen!

  6. Sehr schöner Artikel dem ich voll und ganz zustimme. Wer seinen Job liebt macht auch keine 40 Std Woche 🙂
    Vor kurzem habe ich ein Buch gelesen: „Work Life Bullshit“ von einem deutschen Philosophen, dessen Name mir gerade nicht mehr einfällt. Seine Argumentation kommt deiner sehr Nahe 🙂

    Ich wollte diesen Gedanken demnächst auch auf meinem Blog maelroth.wordpress.com thematisieren aber ich kann es wahrscheinlich nicht besser ausdrücken als du es mit dem Beitrag getan hast 🙂

  7. Ich glaube viele Leute haben es erkannt, aber die wenigsten ändern es oder können es ändern. Geknebelt vom Staat und den großen Firmen leben sie nach dem altbewährten Prinzip Brot & Spiele und vergessen, dass sie es je erkannt haben.

  8. Querdenker sind eine Gefahr, es sei denn man macht sie sich untertan und schlägt Kapital aus ihnen. Die 40-Stunden-Unterdrückung ist ein gutes mittel um Geister klein und sich selbst groß zu halten.

  9. Interessante Gedanken! Leider ist es als Selbstständiger nicht immer möglich weniger als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Klar, würde ich auch gerne weniger arbeiten, aber dann könnte ich wohl kaum ein Unternehmen aufbauen …

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